Der barocke Pultengel von 1754

Foto: Dipl.-Rest. J. Schröder
Foto: Dipl.-Rest. J. Schröder

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Die sogenannten Lesepult- und Lesepult-Taufengel sind nach derzeitigen Kenntnissen nur in der Region Vorpommern vertreten. Sie entstanden im 18. Jahrhundert in den Bildhauerwerkstätten der Hansestadt Stralsund. Bei dem Lüdershäger Pultengel handelt es sich um einen reinen Lesepultengel. Er besteht aus einem Dreifußsockel, einer darauf sitzenden Engelsfigur und einem Pultbrett. Durch die sitzende Haltung des Engels stellt dieses Prinzipalstück - unter den wenigen noch heute erhaltenen Objekten dieser Art - eine einmalige Besonderheit dar. Die Ausstattungsstücke einer Kirche wurden in der Regel von einer oder mehreren Personen gestiftet. Häufig waren diese die zuständigen Kirchenpatrone. Sie hatten neben diversen Ehrenrechten vor allem die Baulast am Kirchengebäude zu tragen und waren damit ebenfalls für die Gestaltung und Instandhaltung der Ausstattung verantwortlich. Für den Pultengel in Lüdershagen sind bisher keine Hinweise auf den Stifter bekannt.

 

Aufgrund seines Erhaltungszustandes war der Pultengel ausgelagert. Über 13 Jahre lang lagerte Diplomrestaurator Jörg Schröder ihn kostenlos in seiner Werkstatt in Rostock. Andernfalls wäre der Pultengel vermutlich nicht mehr existent. Dafür ein herzliches Dankeschön!

 

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit wurde der bereits in Vergessenheit geratene Pultengel wieder zurück nach Lüdershagen überführt und kunsthistorisch sowie technologisch untersucht. Analytische Untersuchungen zur Fassung gab es bisher an noch keinem dieser besonderen Objekte. Hinzu kommt, dass der Lüdershäger Pultengel - verglichen mit anderen Pultengeln - nur relativ wenige starke Überarbeitungen erfuhr, sodass die entstehungszeitliche Fassung noch heute sehr gut nachvollziehbar ist. Die heutige Gestalt ist auf eine Überarbeitung der 1970er Jahre zurückzuführen. Da der Pultengel aus Lüdershagen im derzeitigen Zustand nicht mehr vollständig erfahrbar ist, war es besonders wichtig, die entstehungszeitliche Erscheinung verständlich zu machen. Tatsächlich existiert noch eine historische Aufnahme, vermutlich aus den 20er/30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Um das ursprüngliche Aussehen des Pultengels zu bestimmen, war es nötig die Farbschichten näher zu untersuchen. Hierzu wurden an unterschiedlichen Stellen des Objektes geringe Mengen an Probenmaterial entnommen. Unter dem Mikroskop konnte die Oberfläche bereits näher betrachtet werden. Weiterhin wurden Querschliffe angefertigt, um die vorhandenen Schichtenfolgen der Fassung festzustellen. Neben histochemischer Färbemethoden konnten auch mikrochemische Analysen Aufschluss über einige Bindemittel und eventuell verwendete Pigmente geben. Mit der Befundlage und den Erkenntnissen durch die naturwissenschaftlichen Untersuchungen kann belegt werden, wie der Pultengel einmal ausgesehen haben könnte. Er hatte demzufolge eine dem Barock recht typische farbenfrohe Erscheinung.

 

Mit den seit 2015 gesammelten Spenden von den Führungen zum „Tag des offenen Denkmals“ und einer privaten Sammlung zum 60. Geburtstag von Bettina Engel konnte bereits bei einem Bildhauer die Nachfertigung des linken Arms und die Rekonstrukion der fehlenden Finger der rechten Handin Auftrag gegeben werden.

 


             Ostsee-Zeitung

                 Artikel von Annika Wenning

                 Ribnitz Damgarten                                                                                      24.06.2019

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Zunächst wurde der erhaltene Bestand konserviert, die stark geschädigte Holzsubstanz gefestigt und die vielfach gelöste Fassung niedergelegt. Der Pultengel sollte in Zukunft nicht nur als fragmentarisches Museumsobjekt in die Kirche zurückkehren, denn dann würde er wieder in irgendeiner Ecke ein tristes Dasein führen. Dafür ist dieses besondere Kunstwerk viel zu schade! Es soll als Zierde der Kirche dienen und möglicherweise sogar genutzt werden können. Die Fassung des Dreifußsockels ist nur noch in wenigen Bereichen erhalten. Diese werden konserviert und als Sichtfenster gealterter Originalfassung behutsam in eine nach historischem Vorbild hergestellte Fassungs-Rekonstruktion  integriert. Auch die Engelsfigur soll wieder mit all ihren Gliedmaßen fröhlich auf ihrem Sockel sitzen können.

 

Schlussendlich ist hervorzuheben, dass so ein fröhlich auf seinem Sockel sitzender Pultengel ungewöhnlich und kein zweites Mal bekannt ist, was den Lüdershäger Pultengel in der Region Vorpommern zu einer ganz besonderen Rarität macht.

 

Am 1. August 2021 ist der barocke Pultengel nach aufweniger Restaurierung wieder in seine Kirche zurückgekehrt. Begrüßt wurde er an diesem Abend mit einem festlichen Konzert von dem Duo Fehse und Wilfert (Trompete und Orgel) aus Dresden.

Dem freundlichen Himmelsboten fehlen allerdings noch die Beine und Teile der Flügel, damit auch das aufgesetzte Lespult in Zukunft wieder nutzbar wird. Mit dem Spruchband und der Aufschrift "Almosen für den Beinlosen!" (Zitat aus dem Zeichentrickfilm Asterix - Sieg über Cäsar) bittet der Pultengel um finanzielle Unterstützung. Erst dann ist auch erkennbar, dass dieser ursprünglich der einzige in sitzender Haltung  ausgeführte Pultengel in Vorpommern ist

 

Der Vorstand des Fördervereins konnte für den Pultengel eine Förderung für die bildhauerische Rekonstruktion der Beine und des mittleren Gewandstücks als LEADER-Kleinprojekt einwerben. Der Antrag bei der Lokalen Aktionsgruppe Nordvorpommern wurde am 16.03.2022 bewilligt. Der Bildhauer Edvardas Racevicius aus Greifswald fertigte anhand der historischen Fotografie zunächst ein Modell an. Nachdem er dieses Wachsmodell am Originalobjekt angepasst hatte, schnitzte er die detailgenaue Rekonstruktion aus Lindenholz. Am 02.10.2022 erhielt der Engel dann seine Beine zurück.

Bevor sie an der Engelsfigur montiert werden können, müssen die Beine allerdings noch gefasst werden und die Riemen der Sandalen nach historischem Vorbild vergoldet werden.

 

Dieses Projekt wurde unterstützt durch

die Lokale Aktionsgruppe Nordvorpommern e.V.